Bettina
Vestring
Schade, dass
Griechenland nun doch keine große Mauer baut. Ein Grenzzaun über
206 Kilometer, entlang der gesamten Landgrenze zur Türkei, wäre
besser gewesen. Besser für die Griechen, deren kleines,
überschuldetes und schlecht organisiertes Land vom Andrang der
Flüchtlinge vollkommen überfordert ist. Vielleicht sogar besser für
die Flüchtlinge selbst, denen ein denkbar menschenunwürdiger
Empfang in Griechenland droht. Womöglich wäre der Mauerbau sogar
für uns andere Europäer besser, weil er uns zwänge, den Blick auf
unsere eigene Verlogenheit zu richten. Doch Athen macht, offenbar
eingeschüchtert von der Kritik von allen Seiten, einen Rückzieher.
Nun soll nur noch ein relativ kurzer Zaun von 12,5 Kilometern Länge
und drei Metern Höhe gebaut werden.
Er soll entlang des Flusses
Evros stehen, der leicht zu durchschwimmen ist, und über den im Jahr
2010 die meisten illegalen Einwanderer nach Griechenland kamen. Es
bedarf keiner besonderen Gabe, um vorherzusagen, dass die Schleuser
schon bald Wege finden werden, dieses kurze Zaunstück zu umgehen.
Also geht es so weiter wie bisher: Mit Scheinwerfern, Blaulicht,
Lautsprecheransagen und sogar Warnschüssen in die Luft werden die
griechischen Grenzer versuchen, die unerwünschten Gäste
fernzuhalten. Auch auf die Gefahr hin, wie die Organisation Pro Asyl
berichtet, dass Flüchtlinge voller Panik in die Minenfelder rennen,
die in den Jahren der griechisch-türkischen Feindschaft angelegt
wurden. Mit dabei: 175 Grenzpolizisten aus anderen EU-Ländern, die
mitsamt ihren Wachhunden, Nachtsichtgeräten und Hubschraubern zur
Unterstützung der Griechen entsandt wurden. Die zuständige
EU-Agentur Frontex hat ihren Einsatz gerade bis März verlängert.
Trotz alledem gelangen pro Tag etwa 200 Flüchtlinge illegal über
die Grenze, schätzt die griechische Regierung. 80 Prozent aller
illegalen Einwanderer in die EU nehmen den Weg über Griechenland,
vor allem Iraker, Iraner und Afghanen, aber auch Menschen aus Afrika
und dem ferneren Osten, die Schleppern viele Tausend Euros zahlen, um
nach Europa zu gelangen. Die allermeisten wollen nicht in
Griechenland bleiben, sondern suchen einen Weg in die reicheren
Staaten im Norden und Westen Europas. Doch das EU-Recht ist
eindeutig: Nach der Dublin-II-Verordnung ist für Asylanträge das
Land zuständig, das der Flüchtling zuerst betritt. Also pferchen
die Griechen immer weitere Flüchtlinge in die völlig überfüllten
Lager. So eng kann es dort werden, dass die Menschen sich nicht
einmal zum Schlafen hinlegen können. Auch Toiletten gibt es nicht
genug, es kam schon vor, dass griechische Polizisten Flüchtlinge zur
Notdurft auf die Felder trieben. Medizinische Hilfe, anwaltliche
Beratung, Dolmetscher - nichts davon existiert in den griechischen
Lagern. Eine "humanitäre Krisensituation, wie sie in der EU
nicht vorkommen darf", sagt das UN-Flüchtlingskommissariat. Von
30000 Asylbewerbern erkannten die griechischen Behörden im Jahr 2010
ganze elf als schutzbedürftig an. So groß ist das Elend, dass
Gerichte in England, Norwegen oder den Niederlanden inzwischen keine
Flüchtlinge mehr nach Athen zurückschicken. Auch das
Bundesverfassungsgericht hat die Abschiebungen gestoppt. Damit zeigen
die Richter mehr Anstand und Klarsicht als die Politik: Gemeinsam
haben die Innenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens
alle Versuche scheitern lassen, die Dublin-Verordnung zu reformieren.
Die EU-Kommission konnte noch nicht einmal erreichen, dass
Asylbewerber zeitweise anderswo aufgenommen werden, falls ein
Mitgliedsland einen besonders großen Ansturm von Flüchtlingen zu
verkraften hat. Denn die bisherigen Regeln sind für die reichen
EU-Länder in der Mitte Europas außerordentlich vorteilhaft. In
Deutschland sind die Asylbewerberzahlen auf weniger als ein Zehntel
ihres Ausmaßes in den frühen 90er-Jahren gesunken. So hat es sich
auch die deutsche Öffentlichkeit in der Asylfrage bequem gemacht.
Wer es trotz der hohen Hürden bis zu uns schafft, wird einigermaßen
ordentlich behandelt. Aber wie es jenen ergeht, die schon weit vor
unseren Grenzen scheitern, möchten wir nicht wissen. Wir machen auch
die Augen zu, um nicht zu sehen, was mit den Flüchtlingen geschieht,
die Libyen auf italienisches Drängen hin von der Überfahrt über
das Mittelmeer abhält. Vielleicht hätte die griechische Mauer
unsere Selbstgefälligkeit zerstört. Einen langen, hohen,
landschaftsverschandelnden Grenzzaun quer durch das antike Thrakien
hätten auch wir nicht so einfach übersehen können. Die Festung
Europa? Es gibt sie längst. ------------------------------ Die
deutsche Öffentlichkeit hat es sich in der Asylfrage bequem gemacht.
Wer es trotz der Hürden bis zu uns schafft, wird ordentlich
behandelt. Wie es jenen ergeht, die weit vor unseren Grenzen
scheitern, möchten wir nicht wissen.
06.01.2011