92 Migranten sind am Freitag offenbar über den Grenzfluss Evros getrieben worden. Die Türkei und Griechenland schieben sich die Verantwortung für den Zustand der wohl teils verletzten und unbekleideten Menschen zu.
Am Evros wurde auf griechischer Seite in den vergangenen Wochen eine Grenzmauer errichtet Foto: Giannis Papanikos /Ap |
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex sagte dem SPIEGEL, dass ihre Mitarbeiter bei der Rettung der 92 Menschen am Freitag geholfen hätten. Die Personen seien den Beamten zufolge »fast nackt« gefunden worden, einige hätten sichtbare Verletzungen davongetragen. Auf dem Bild, das zuvor der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi auf Twitter gepostet hatte, sind vollständig nackte Männer zu sehen.
Griechische Regierung reagiert nicht auf OLAF-Bericht
Die griechische Regierung nutzt den Fall offenbar, um vom OLAF-Bericht abzulenken, den der SPIEGEL und »FragDenStaat« am Donnerstag publiziert haben. In dem Untersuchungsbericht des EU-Antibetrugsamts machen die Ermittler Frontex und den griechischen Behörden schwere Vorwürfe. Sie zeigen unter anderem, dass Griechenland in der Ägäis sogenannte illegale Pushbacks durchführt: Grenzschützer schleppen Asylsuchende in türkische Gewässer zurück und setzen sie dann auf dem Meer aus, damit sie keinen Asylantrag in der EU stellen können. Frontex vertuschte die Pushbacks und finanzierte sie in Teilen.
Die griechische Regierung hat auf die Vorwürfe durch die EU-Ermittler bisher nicht reagiert. Mitarachi kündigte stattdessen an, im Fall der 92 aufgegriffenen Personen den Präsidenten der Uno-Generalversammlung in New York und die EU-Kommission zu informieren.
Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis kündigte an, den Vorfall nächste Woche bei einem Besuch in New York bei den Vereinten Nationen zur Sprache zu bringen. Es gebe dazu auch Foto- und Videomaterial. Die EU-Kommission habe er bereits informiert, twitterte Mitarakis am Montag.
In der Vergangenheit hatte der SPIEGEL gemeinsam mit Lighthouse Reports in mehreren Recherchen belegt, dass die griechischen Behörden diese Pushbacks sowohl am Evros, wo nun die 92 Menschen aufgegriffen wurden, als auch in der Ägäis systematisch durchführen. Am Evros ergeben sich immer wieder Situationen, in denen türkische und griechische Grenzschützer die Schutzsuchenden illegalerweise vor- und zurücktreiben. Bisweilen enden die Aktionen tödlich.
Griechenland und Türkei machen sich gegenseitig verantwortlich
Athen und Ankara schoben sich am Wochenende für den Vorfall derweil gegenseitig die Schuld zu. Der griechische Bürgerschutzminister Takis Theodorikakos sprach von barbarischem Verhalten, das ans Mittelalter erinnere. Der türkische Vize-Innenminister hingegen twitterte, Griechenland versuche, die eigene Grausamkeit der Türkei unterzuschieben.
17/10/2022